Wir leben heute in einer Zeit weltumspannender Krisen und chaotischer Umbrüche, einer Achsenzeit, wie es H. Jaspers einmal formuliert hatte. Eine weitaus gefährlichere und in ihren Folgen heute noch gänzlich unabsehbare Bedrohung ist dagegen noch nicht in das allgemeine Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangt: Die Bedrohung der Gattung Mensch durch die Allmachtsphantasien von technischen und biotechnologischen Menschen-Optimierungen.

Unser bisheriges Verständnis vom Menschen steht zur Disposition.

Immer unverhohlener und fordernder wird unser abendländisches, christlich-humanistisches Menschenbild von Freiheit, Sittlichkeit und Verantwortung in Frage gestellt.

Die moderne Medizin ist mit ihren vielfältigen, technischen Möglichkeiten im Zentrum dieser epochalen Umbruchsituation angesiedelt und sieht ihre ethischen Grundlagen durch zunehmende ökonomische Zwänge bedrängt. Es besteht die Gefahr, dass unter dem ökonomischen Diktat der Ware Gesundheit der Mensch selbst in Zukunft zur Ware werden könnte.

Wir benötigen heute einen neuen Eid des Hippokrates, der die unverhandelbaren, ethischen Maßstäbe wieder klar umreißt. In den letzten Jahrzehnten hat zwar der wissenschaftliche und technische Fortschritt die Medizin revolutioniert, jedoch stellen ökonomischer und bürokratischer Druck eine ernstzunehmende Gefahr für ein auf das individuelle Wohl des Patienten ausgerichtete Heilwesen dar. Unter diesen Zwängen leiden nicht nur die Patienten, sondern auch die Ärzte. Die Frage nach dem, was das Wesen des Menschen ausmacht, stellt sich in den aktuellen Diskussionen um Stammzellenforschung, Gentechnik, vorgeburtliche Diagnostik und Sterbehilfe immer drängender. Es geht um die Frage nach dem, was über die Zeitlichkeit des Menschen hinaus unveränderlich ist und was nach Maß und Zahl nicht zu bemessen ist, nämlich das Person-Sein des Menschen und seine Würde. Heute stellt sich die Frage nach einer Ethik des Heilens aufs Neue. Es geht vor allem auch um ein grundsätzliches Nachdenken über die Menschlichkeit in unserer Gesellschaft, in welche das Gesundheitssystem eingebettet ist. Die Widersprüche und Tabubrüche in unseren modernen westlichen Gesellschaften und die zunehmende Entfremdung des Menschen von sich selbst, werden in der modernen Medizin wie in einem Brennglas gebündelt und verstärkt.




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